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Besprechung Im Mittelpunkt von John Irvings Roman "Straße der Wunder" steht der international bekannte mexikanische Schriftsteller Juan Diego, der in Irvings Roman gleich doppelt auf Reisen geht. Während der Schriftsteller um die Jahreswende 2010/11 auf die Philippinen reist, um dort einem verstorbenen Freund einen Wunsch zu erfüllen, tritt er gleichzeitig eine Reise in seine Vergangenheit an, die ihn auf die Müllkippe in der mexikanischen Stadt Oaxaca zurückführt, wo er und seine Schwester Lupe aufgewachsen sind. Abhängig von der jeweiligen Dosis Betablocker, die Juan Diego in Kombination mit Viaga einnimmt, erinnert sich Juan Diego an eine Kindheit zurück, in der er und seine Schwester von zahlreichen liebevollen Menschen umgeben waren. Während die Mutter der beiden Kinder, eine Prostituierte, das Waisenhaus putzt, weil die Jesuiten hoffen, sie so wieder auf den rechten Weg zu bringen, versorgt Bruder Pepe, Lehrer an der Jesuitenschule, den begabten Müllkippenleser Juan Diego mit Büchern.
Dies ist der aktuelle Roman von John Irving um zwei Kinder von einer Müllhalde im mexikanischen Oaxaca, Joan Diego und seine Schwester Lupe. Als typischer Irving treten schillernde Figuren auf: ein hellsehendes Mädchen, ein Wunderknabe, ein Transsexueller, ein katholischer Priester in Ausbildung etc. Das Buch hat mich an seinen Roman Owen Meany erinnert (den ich danach seit über 20 Jahren erneut gelesen habe). Wie in Owen Meany erzählt Irving in zwei Zeitebenen: in der Kindheit und Jugend der Protagonisten, also der Vergangenheit, und in der Gegenwart. Der Erzähler in Owen Meany heißt John und ist Englischlehrer. In Straße der Wunder gibt es keinen Ich-Erzähler, aber es wird die Geschichte von Joan (engl. John! ) erzählt, der Schriftsteller wird. In beiden Romanen haben die Protagonisten Vorbehalte gegen die katholische Kirche, in Straße der Wunder ist es besonders die Christianisierung der Ureinwohner und die Vereinnahmung ihrer Religion durch die Eroberer. Lupe kann mehr hellsehen als Owen, aber beide sehen ihren Tod voraus.
Spätestens ab dem zweiten Drittel des fast 800 Seiten starken Romans fragt man sich, ob den Kürzungsvorschlägen eines aufmerksamen Lektors hier aus Prinzip nicht stattgegeben wurde, ob es diese schlicht nicht gab oder ob die Wiederholungen gar Methode haben. Stattdessen sollte man lieber einen der frühen Romane des Autors zur Hand nehmen und darauf hoffen, dass man sich auf den eigenen Geschmack doch ein wenig verlassen kann und dass John Irvings Bücher früher einfach besser waren.
Dann ist es jedoch eines dieser Bücher, dass einen alles um sich herum vergessen lässt.