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Endlich sind die Terroristen weg, und es herrscht Ordung und Ruhe und Frieden und das bisschen Gesindel das noch in den Knästen steckt tut sowieso kein mehr interessieren Nun kämpfen die Menschen nur noch für Hunde und Benzin folgen Jürgen und Zlatko und nichtmehr Bader und Ensslin Die die Unheil und Armut und Krankheit verbreiten, für die herrschen sorglose Zeiten. Da kein bisschen Sprengstoff sie daran hindert ihre Geschäfte zu betreiben Endlich haben sie keine Angst mehr verkaufen fröhlich ihre Panzer jeden Tag 7 Kinder abschieben und dann zum Essen mit dem Kanzler Endlich sind die Terroristen weg, und es herrscht Ordung und Ruhe und Frieden und man kann wieder sicher Mercedes fahren ohne das die Dinger immer explodieren Endlich sind die Terroristen weg, endlich kann nichts mehr passieren Endlich sind die Terroristen weg, und es herrscht Ordung und Ruhe und Frieden
Die Passage liest sich wie eine Typologie jedes zweiten Hasshetzers auf Facebook. Es geht also um das Gefühl, in einer Art herbeifantasierter Notwehr zur Selbstverteidigung zu handeln. Diese Leute glauben, sich verteidigen zu müssen. Das genau ist die Stimmung, in der terroristische Akte geschehen, denn in Notwehr erscheint schließlich auch Gewalt legitim. An den gewalttätigen Rändern dieser Gruppierungen bedeutet das, aus eingebildeter Notwehr Flüchtlingsheime anzuzünden: eine geradezu mustergültige Täter-Opfer-Umkehr. Ihre Gewissheit, endlich "handeln" zu müssen, ihre potenziell tödliche Selbstgerechtigkeit aber schöpfen sie aus ihrem sozialen, medialen, politischen Umfeld. Und nicht nur redaktionelle Medien und Politik spielen hier eine bittere Rolle, wie Maximilian Popp perfekt analysiert hat - sondern eben auch die sozialen Medien. Ein neuer, alter Typus des Netzbürgers bildet das Fundament für diese Haltung. Er ahnt, dass er mit seinen Statements in trübstmöglichen Gewässern fischt.
Ebenso, dass Deutschland wochenlang die Lieferung von Waffen und Munition durch andere Staaten verhinderte und sich dann mit einer Spende von 5000 Helmen hervortat, war definitiv kein freundlicher, geschweige denn ein freundschaftlicher Akt Deutschlands. Dass Sanktionen verhängt wurden und Deutschland als eine Art Feigenblatt Panzerfäuste lieferte, ändert nichts daran, dass Deutschlands Ansehen in der Welt in den letzten Wochen und Monaten rapide gesunken ist. Der estnische General und Parlamentsabgeordnete Ants Laaneots sagt dazu: "Ehrlich gesagt, wir sind sehr enttäuscht von Deutschland. Das fing an mit Nord Stream 1, die uns genau wie Nord Stream 2 vor große Probleme stellt. Und dann war da anfangs nur die deutsche Unterstützung einer Lieferung von 5000 Helmen. Wie kann das sein? Estland und Deutschland verbindet eine jahrhundertealte, gemeinsame Geschichte. Angesichts dessen ist es schwierig, Menschen zu vertrauen, die einem in einer so schwierigen Lage wie der jetzigen nicht zur Seite stehen. "
Dies habe dazu geführt, dass Menschen sich nicht mehr für allgemeine politische Belange einsetzten, sondern nur noch für die eigenen Alltagsbedürfnisse. Die RAF wird hier also als Gegenentwurf zu einer Populärkultur präsentiert, die ausschließlich der Unterhaltung dient. In diesem Sinne präsentiert der Titel des Songs die RAF-Mitglieder als Alternative zur missionarisch-christlichen Band Söhne Mannheims, in der zum Zeitpunklt der Veröffentlichung auch Xavier Naidoo sang. Doch auch für Funktionseliten der BRD hätte die Existenz der RAF laut Songtext Konsequenzen gehabt: Diejenigen, die Geschäfte betrieben, die Menschen schaden, etwa Waffengeschäfte, und die Verantwortlichen für inhumane Politik hätten sich darum sorgen müssen, dass sie einem Anschlag, etwa durch eine Autobombe, zum Opfer fallen könnten, wohingegen sie all dies heute ungestört tun könnten. Dass Jan Delay Gewalt gegen Menschen als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ausdrücklich ablehnt und die RAF durchaus kritisch sieht (vgl. etwa ein taz-Interview von 2007) mag nach dem Anhören des Lieds zunächst verwundern.
Bei genauerer Betrachtung erscheint dies aber nicht unbedingt als widersprüchlich. Denn auch wer die Mittel, mit denen ein Ziel erreicht worden ist, ablehnt, kann den hergestellten Zustand einem anderen – im Falle der Sprechinstanz der eigenen Gegenwart – trotzdem vorziehen. Das Lied zieht somit eine Bilanz des Wirkens der RAF, der man von Geschmacklosigkeit bis historischer Unrichtigkeit Diverses vorwerfen kann. Daraus eine Glorifizierung abzuleiten, fällt aber in die Argumentationsmuster der Zeit zurück, als die RAF noch aktiv war, und jeder, der ihre Ziele für diskussionswürdig hielt, sich mit dem Vorwurf des Sympathiesantentums konfroniert sah. Nun muss man, wenn man bei Jan Delay eine differenzierte Betrachtung einfordert, eine solche auch Heino zugestehen. Denn natürlich lässt sich aus der Tatsache, dass jemand ein nazistisches und rassistisches Publikum bedient, noch nicht zwingend schließen, dass er selbst dessen Überzeugungen teilt – er könnte etwa auch aus rein kommerziellen Gründen so handeln, was auch Jan Delay klar sein dürfte.