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In den Händen des Bruders erweisen sich drei Eintragungen als zentral: "75 m raucht Iwan Zigaretten, ein Fressen für mein MG. " Ein anderes Mal ist von einem durchkämmten Gelände und "viel Beute" die Rede. Mit der dritten Eintragung enden die Aufzeichnungen: "Hiermit schließe ich mein Tagebuch, da ich es für unsinnig halte, über so grausame Dinge wie sie manchmal geschehen, Buch zu führen. " Die Gefühllosigkeit, mit der sein Bruder festhielt, daß er einen Russen erschossen hat, verstört Timm. Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders | lernen-aus-der-geschichte.de. Das Wort Beute schürt den Verdacht, der Bruder könne wie so viele Angehörige der Waffen-SS an der Ermordung von Juden und anderen Zivilisten beteiligt gewesen sein. Indizien dafür finden sich kaum. Einmal notiert der Bruder seine Verwunderung, als seine Division in einem russischen Dorf freudig begrüßt wird. Erfahrungen mit der SS könne man dort wohl nicht haben. Die letzte Eintragung gibt Rätsel auf. War der Bruder an Greueltaten beteiligt, die ihn verstummen ließen? Hat sich doch Widerstand geregt in dem offenbar musterhaften Befehlsempfänger?
Das von seiner Familie schmerzhaft entbehrt wird, besonders in den Jahren nach dem Krieg. Der große Bruder Karl-Heinz hat sich 1942 zur Waffen-SS gemeldet. Freiwillig, wie der Vater stets betont. Eingesetzt wird seine SS-Totenkopfdivision im Kursker Bogen, in Charkow, im Raum Kiew. Am Beispiel meines Bruders (Uwe Timm) - Galaxus. Abwesend und doch anwesend habe ihn der Bruder durch seine Kindheit stets begleitet, vermerkt der Autor, "in der Trauer der Mutter, den Zweifeln des Vaters, Andeutungen zwischen den Eltern". Am 19. September 1943 werden dem SS-Sturmmann bei einem Gefecht am Dnjepr beide Beine weggerissen, vier Wochen später stirbt er mit 19 Jahren im Feldlazarett 623 – da ist der Bruder Uwe gerade drei. Was bleibt, sind Feldpostbriefe, abgefasst wie Frontberichte, häufig allein an den Vater gerichtet und mit "Dein Kamerad Karl-Heinz" unterschrieben. Gilt die Post der Mutter, endet sie mit dem Gruß "Dein Kurdelbumbum", ein Kosename aus der Kindheit, den sich der Junge selbst gegeben hat, der verwuschelten blonden Haare wegen.
Am 16. Oktober 1943 erliegt er seinen Verletzungen. Eine andere deutsche Jugend: Unter nassen Handtüchern im Kinderwagen liegend, wird er durch das brennende Hamburg gefahren. Die Flämmchen, die durch die Luft fliegen, werden erst viel später als brennende Gardinenfetzen identifiziert. Der Bruder stirbt in Rußland, der Vater, Luftwaffenangehöriger, diskutiert noch in den fünfziger Jahren, wie der Krieg hätte gewonnen werden können. Der Fünfjährige entzückt die Verwandten, weil er so schön die Hacken zusammenschlagen kann, die erste Jeans, nach monatelangem Kampf errungen, verändert den Gang des Vierzehnjährigen, verleiht ihm etwas Lässiges. Kürschnerlehre, gegen den eigenen Wunsch, auf Drängen des Vaters, der sich Hilfe für den Familienbetrieb und einen Nachfolger wünscht. Am beispiel meines bruders karl heinz funeral home. Der Gang ins Amerikahaus, der Gedanke an Auswanderung. Die Amerikanisierung vieler Lebensbereiche wird als befreiend empfunden, aber für viele in der Generation der Eltern ist sie eine Demütigung. Das Schweigen der Alten über die Vergangenheit ist ihm genauso unerträglich wie ihr Schwadronieren vom Krieg oder die Verkleinerung des Grauens in der Anekdote.